Der Wolf riss 2011 dreimal mehr Schafe

 

In ganz Europa nimmt die Wolfpopulation zu -

bald wird es in der Schweiz erste Rudel geben

 

274 Schafe und Ziegen erlegte der Wolf im vergangenen Jahr. Jetzt fürchten die Bauern auch um ihr Rind. Deshalb werden dringend Hirten gesucht.



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az Sonntag, 5. Februar 2012, Yannick Nock

 

Der Wolf wird sich künftig viel schneller in der Schweiz ausbreiten als in den vergangenen Jahren. Experten rechnen damit, dass es jährlich einen Zuwachs von bis zu 30 Prozent geben wird. Das Raubtier ist in ganz Europa auf dem Vormarsch. In Deutschland hat sich der Bestand im letzten Jahr auf über 100 Exemplare verdoppelt. Auch von der französischen und italienischen Grenze drängt das Tier in die Schweiz.

 

11 Wölfe sind im Moment auf Schweizer Territorium genetisch nachgewiesen. Reinhard Schnidrig vom Bundesamt für Umwelt geht aber von 15 bis 20 Tieren aus: meistens Männchen, die aus den italienischen Alpen vertrieben wurden. «Bald wird es erste Rudel und auch Jungtiere geben», ist Schnidrig überzeugt.

 

Dass der Wolf hierzulande weniger schnell heimisch wird als im Rest Europas liegt unter anderem an den Abschüssen. Sieben wurden seit 2000 legal getötet. Doch die Dunkelziffer ist höher, denn das Tier macht sich Feinde: 274 Schafe und Ziegen hat der Wolf im vergangenen Jahr gerissen. Das sind dreimal so viele wie 2010. Nur einmal tötete der Wolf mehr Nutztiere: 2009 waren es 358. Allerdings riss damals ein am Bein verletzter Wolf notgedrungen alleine über 100 Schafe.

 

Das Bundesamt für Umwelt und Naturschutzorganisationen setzen deshalb seit 2009 noch stärker auf Zäune, Hirten und Hunde. Das habe sich bisher sehr bewährt, sagt Schnidrig. 90 Prozent der Wolfsrisse geschehen in ungeschützten Gebieten. Betroffen war 2011 vor allem das Oberwallis. Nicht ohne Grund: «Viele der Walliser Bauern lehnen die Arbeit mit Hirten und Schutzhunden ab», sagt Schnidrig. Das sieht Gabriel Ammann, Präsident der Oberwalliser Landwirtschaftskammer, anders. «Wir empfehlen unseren Mitgliedern diesen Schutz», sagt er. Doch damit sei es nicht getan. Ammann fürchtet sich vor mehr Wölfen in der Schweiz. Besonders wenn sie Rudel bilden. Einerseits, weil der Schutzhund nicht ein ganzes Rudel vertreiben kann. Andererseits trauen sich Wölfe in der Gruppe auch grössere Tiere zu jagen, wie zum Beispiel Rinder.

 

Gefragt sind deshalb Schweizer Hirten. Besonders an Schafshirten mangelt es derzeit. Neue werden dringend gesucht. Hilfe kommt noch aus dem Ausland. Die Hälfte der rund 80 in der Schweiz arbeitenden Schafshirten kommt aus Frankreich, Italien und dem Südtirol. Die landwirtschaftlichen Schulen in Graubünden und Wallis bieten nun aber eine entsprechende Ausbildung in der Schweiz an. Zusätzlich sucht der WWF freiwillige Hirt-Assistenten, um die Herden vor der steigenden Anzahl Wölfe in der Schweiz zu schützen.